Software erobert die Autoindustrie
Völlig selbstfahrende Fahrzeuge mögen zwar noch Jahre entfernt sein, doch die Analysten von Goldman Sachs Research gehen davon aus, dass die Gewinne der Automobilindustrie in diesem Jahrzehnt erheblich steigen könnten, da Software auch bei geringeren Automatisierungsgraden immer wichtiger wird.
In einem neuen Bericht schätzen die Analysten, dass Autos mit autonomen Technologien der Stufe 3 und höher im Jahr 2030 etwa 15 % des Umsatzes ausmachen werden, gegenüber 0 % im Jahr 2020, wobei der Großteil dieser Marktdurchdringung auf halbautomatisierte Fahrzeuge entfällt, die steuern können sicherheitskritische Funktionen ausführen, den Fahrer jedoch unter bestimmten Umständen zur Übernahme auffordern.
Diese neuen Fähigkeiten werden die Abhängigkeit der Branche von Software deutlich erhöhen, was bereits jetzt die Natur der Automobilproduktion verändert. Die durchschnittlichen Softwarecodezeilen pro Fahrzeug haben sich von 100 Millionen im Jahr 2015 auf 200 Millionen im Jahr 2020 verdoppelt, was auf die zunehmende Verbreitung der Steuerung elektrifizierter Fahrzeuge und des autonomen Fahrens zurückzuführen ist. GS Research geht davon aus, dass sich das Wachstum in den nächsten Jahren beschleunigen könnte, sodass jedes Auto bis 2025 bis zu 650 Millionen Codezeilen benötigt. Dies stellt eine andere Größenordnung der Komplexität dar als ein typisches Smartphone-Betriebssystem oder Kampfflugzeug mit durchschnittlich etwa 20-40 Millionen Zeilen Code.
Die wachsende Bedeutung von Software für Neufahrzeuge wird zu höherer Komplexität und höheren Kosten führen, könnte aber auch neue Umsatzmöglichkeiten eröffnen. „Die Automobilindustrie steht an der Schwelle zu einem großen Wendepunkt mit Fahrzeugen, die zunehmend vernetzt und softwaredefiniert sind, einschließlich elektrischer und autonomer Fahrzeuge“, schreibt GS Research in seinem Bericht. „Wenn es den Automobilherstellern gelingt, den neuen Wert dieser Autos erfolgreich zu monetarisieren, sollten sie in der Lage sein, Gewinne zu erzielen, die über die Reichweite ihrer bisherigen Geschäftsmodelle hinausgehen.“
Insgesamt prognostiziert GS Research, dass der Gewinnpool der Branche von 315 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 405 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 anwachsen wird. Das Basisszenario für dieses Wachstum ergibt sich aus zwei Quellen: Erstens werden die Automobilhersteller in der Lage sein, die Aufkleberpreise um etwa 3.000 US-Dollar pro Fahrzeug zu erhöhen. welche Vorteile neue Technologien den Fahrern bieten werden. Die zweite Quelle des Gewinnwachstumspotenzials ergibt sich aus den zusätzlichen 3.800 US-Dollar, die Autohersteller aus monatlichen Abonnementeinnahmen erhalten können, die an autonome Sicherheits- und Komfortverbesserungen gebunden sind.
Wenn es den Automobilherstellern gelingt, diese Ertragsmöglichkeiten voll auszuschöpfen, könnten sie nach Schätzungen der Forscher Einnahmen von 3.750 US-Dollar pro Fahrzeug erzielen, gegenüber derzeit 1.750 US-Dollar. Sollte diese Verbesserung erreicht werden, würde die durchschnittliche Betriebsmarge von 7 % auf 12 % steigen.
Natürlich profitiert nicht jeder Hersteller gleichermaßen. Während GS Research davon ausgeht, dass die Neuausrichtung der Branche ein zentrales Thema bei Fahrzeugbetriebssystemen und Elektrofahrzeugbatterien werden wird, werden einige Autohersteller besser positioniert sein als andere. Der Bericht prognostiziert, dass Unternehmen mit skalierbaren Produkten – wie beispielsweise gemeinsamen EV-Architekturen – schneller wachsen können als Automobilhersteller, die in mehreren Regionen tätig sind und eine breite Palette von Modellen und Antriebssträngen bedienen. Der Bericht warnt außerdem davor, dass traditionelle OEMs die Konkurrenz durch neue Marktteilnehmer abwehren müssen, die möglicherweise Vorteile aus eigenen Unternehmen ohne Altanlagen ziehen könnten.
Da elektrische und automatisierte Fahrzeuge einen größeren Teil des Kuchens einnehmen und bis 2030 149 Milliarden US-Dollar an Neugeschäft erwirtschaften, werden die Gewinne aus dem traditionellen Fahrzeuggeschäft nach Schätzungen von GS Research um 59 Milliarden US-Dollar zurückgehen. Und da regelmäßige Software-Updates durch Over-the-Air-Downloads möglich werden, werden herkömmliche, nicht vernetzte Autos, die auf einem vier- bis fünfjährigen Modellzyklus basieren, wahrscheinlich obsolet werden.
„Wir treten in eine neue Ära ein, in der softwaredefinierte Fahrzeuge (softwarezentrierte Automobilentwicklung) darüber entscheiden werden, wer in der Automobilindustrie den Wettbewerbsvorteil hat“, heißt es in dem Bericht abschließend.